17 Nov 2007 - 20 Jan 2008
Kuratorin Curator:
Ingrid Burgbacher-Krupka

 

 

Kunst+Projekte Sindelfingen

 

Ivo Wessel: Korrespondenzen

Kunst und Literatur, Enzyklopädien
und Deklinationen

Als ich kürzlich eine neuere Arbeit von Via Lewandowsky ausleihen wollte, stieß ich unvermittelt im Wohn- und Arbeitsbereich des Sammlers IVO WESSEL in  Berlin / Kreuzberg auf ein zeitgenössisches Kunst-Environment. Das Erstaunen war so groß, dass ich ihn und seine Literatur- und Kunstumgebung umgehend in die Galerie der Stadt Sindelfingen einlud. Hier hat Ivo Wessel eine Auswahl seiner Sammlung selbst inszeniert.

Was nun ist das Besondere an diesem Kulturereignis?

Profession und Obsession für Literatur und Kunst zum eigenen Vergnügen aufs Schönste zu vereinen! Wessel ist von Beruf Softwareentwickler, der nach eigener Aussage den Kaufwert für eine Arbeit nach eigenen Tagessätzen bemisst. Letztlich tauscht er seine Lebenszeit gegen das Kunstwerk: ein subjektives System, das theoretisch ohne die Größe Geld auskommt. Verzicht und Genuss bedingen sich dabei gegenseitig.

Dahinter steckt eine Geisteshaltung, die Kunst als kalkuliertes Investitionsspielzeug oder zur eigenen Imagepflege kategorisch ablehnt. Der Sammler läuft  nicht  einem „pekuniären Differenzausgleich” durch zeitverzögerte Wiederverkäufe hinterher. Avanciert jemand zu einem „me too-Künstler”, horcht er auf – oder eher ab. Er will nicht in der Reihe derer stehen, die mit einer „blue chip”-Arbeit auf Nummer Sicher gehen, „mit den Ohren“ sammeln. Wessel ist kein Sammlungssammler; er sammelt zur eigenen Anregung, weil er nicht anders kann und lebt mitten in seinen Kunsträumen.Bemerkenswert ist, wie der Software-Mensch Wessel methodisch vorgeht:

„Lässiger sehen, weniger Intension. Mal gucken, wie es auf mich wirkt“!  

Nicht vorrangig mit den überlieferten Kriterien der Hochkultur balancierend – obwohl er von den wunderbaren Romanen eines Robert Musil oder Marcel Proust schwärmt (das war eine andere Zeit!) – sondern eher nach dem Prinzip handelnd „dass man auf dem Weg zum Guten auch durch sehr viel Scheiß hindurch muss, dass eben das, was man unterwegs so mitnimmt, auch ganz wesenstypisch ist. Dass man dadurch vielleicht wieder eine Klarheit erreicht und den Blick schärft, und, dass das zu erkennen, möglicherweise wieder eine Art von Kulturleistung ist.“ So entsteht auch in der Zusammenstellung der Arbeiten seiner Sammlung ein Abriss des Wandels von relevanten Themen und Medien.

Wessel wünscht sich mehr „Kulturverhinderer”, deren Hauptaufgabe es wäre, „jede Menge Krempel beiseite zu schaffen”. Eine Nebenerscheinung des bestehenden Ungleichgewichts von Künstlern und Kunstkonsumenten.

Welches nun sind die Kriterien Kunst zu sammeln?

„Es ist eine harte Entscheidung zu sammeln“. „Gute Kunst ist das, was aus uns selber spricht. Etwas kommt zum Schwingen", „ein Gleichklang der Resonanzen" zwischen Arbeit und Betrachter. Ist seine Sammlung eine Orchestrierung seines Wesens? Jedenfalls sucht er nicht, er findet.

Selbstredend sammelt er nicht nach kunsthistorischen Kriterien! Dennoch, teilt der Sammler mit dem in den 60er Jahren tonangebenden Kunsthistoriker Martin Warnke nicht eine Denkhaltung, die seinerzeit unter dem Begriff „Politische Ikonografie“ geprägt, die sozialen und ideologischen Bedingungen umkreist, unter denen Kunst gemacht wird? Seine Lieblingskünstler Via Lewandowsky oder Sven Johne legen dies nahe.

Bei aller konzeptionellen Klarheit liebt Wessel den erzählerischen Unterhaltungswert. So ist er auch der Schönheit des grotesken Humors, ja des Absurden, Doppelbödigen zugetan, das auch vor dem Makabren nicht Halt macht.  Nicht zuletzt im Sinne der Pataphysik eines Alfred Jarry, der nach dem Motto einer fröhlichen Wissenschaft von den ‚Imaginativen Lösungen’ lebte. So verwundert es auch nicht, dass Wessel den Literaten Eckhard Henscheid früh für sich entdeckte und nicht nur dessen Bücher, sondern auch Manuskripte sammelte. Die Entwurfsgeschichte, „das Auratische an der Sache“ hat es ihm angetan. Und wenn in Wessels Bücherregalen 50 identische Bücher aufgereiht stehen, andere speziell in Seide gebunden sind, ist das Ausdruck seiner Wertschätzung des betreffenden Buches, das er sehr, sehr mag. Die Präferenz des Literarischen ist unübersehbar, wie das umlaufende Band der ein Meter hohen Regale in seinen Räumen zeigt. „Der erste Meter gehört den Büchern“.

Angefangen hat alles, noch von der Mutter angeregt, mit Ivo Wessels literarischem Interesse und der Konkreten Kunst, die das Elternhaus favorisierte. Aber selbst da lässt er zu, was dem klassischen Regelwerk Konkreter Künstler zuwiderläuft. Eine Arbeit von Anton Stankowski, „Fünfercode“, ordnet Bildfeldern Begriffe zu. „Poetisch” nennt er diese wechselseitige Übersetzung. Von der Kunsthalle Kiel mit 16 weiteren Sammlern eingeladen, einen Raum mit Vorhandenem und eigenen Arbeiten zu bespielen, setzte er Konkrete Kunst und Arbeiten junger Künstler in Beziehung. In dieser Konstellation schimmern Kriterien Konkreter Kunst durch Arbeiten, die eigentlich nichts damit zu tun haben. Wessel lässt kunstgeschichtliche Abgrenzungen transparent werden und spannt einen großzügigen Bogen. Wie sich früh Biografisches mit dem später professionell Eigentümlichen in der Sammlung generationsübergreifend niedergeschlagen hat, macht nicht zuletzt den Reiz der Sammlung aus.

Ivo Wessel ist ein mitreißender Erzähler. Ein Legato verbindet verschiedenste Aspekte, kleine Abstecher, Anekdoten und Theorie zu einem homogenen Ganzen. Dabei macht der Sammler den Eindruck, als könne er aus angemessener Distanz über sich selber sprechen – ohne seine Eitelkeiten unter den Teppich zu kehren. Der Mensch Ivo Wessel ist die Brücke zwischen seinen Arbeiten und seinem Selbstverständnis als Sammler.

Bei seinem ersten Besuch in Sindelfingen hat er die Räume der Galerie vermessen, um KORRESPONDENZEN der hiesigen Architektur mit seinen Kunstwerken auszuloten. Doch bei allem konzeptionellen Vorgehen, einen Zusammenklang der unterschiedlichen Werke seiner Sammlung aus Kunst und Literatur antizipierend, mag das Ergebnis nicht nur den Sammler, sondern auch die Betrachter zu überraschen. Jeder kann seine eigenen subtilen Korrespondenzen entdecken und unterwegs immer wieder die des Sammlers aufspüren. Den Korrespondenzen sind keine Grenzen gesetzt.

Ingrid Burgbacher-Krupka, 2007

  >Ivo Wessel
>Die Sammlung
>Die Ausstellung
>Das Programm
>Jenny Haack

Künstler Artists:

  Literaten
Literary minds:

Installationen von
Frank Hesse
Via Lewandowsky

Fotoserien von
Sven Johne

Neonarbeiten von
Maurizio Nannucci
Sylvie Fleury

Videokunst von
Sarah Baker
Claude Closky
Jenny Haack
Christian Marclay
Bjørn Melhus
Tracey Moffatt
Stefan Panhans

Soundinstallationen von
Rolf Julius
Peter Vogel


 

Illustrationen von
F.W.Bernstein

Literarisches Werk von
Eckhard Henscheid
Ror Wolf

 

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