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Nov 2007 - 20 Jan 2008
Kuratorin Curator:
Ingrid Burgbacher-Krupka
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Kunst+Projekte
Sindelfingen
Ivo
Wessel: Korrespondenzen
Kunst und Literatur, Enzyklopädien
und Deklinationen
Als ich kürzlich eine neuere Arbeit von Via Lewandowsky ausleihen wollte, stieß ich
unvermittelt im Wohn- und Arbeitsbereich des Sammlers IVO WESSEL in Berlin
/ Kreuzberg auf ein zeitgenössisches Kunst-Environment. Das Erstaunen war so
groß, dass ich ihn und seine Literatur- und Kunstumgebung umgehend in die Galerie
der Stadt Sindelfingen einlud. Hier hat Ivo Wessel eine Auswahl seiner Sammlung selbst
inszeniert.
Was nun ist das Besondere an diesem Kulturereignis?
Profession und Obsession für Literatur und Kunst zum eigenen Vergnügen
aufs Schönste zu vereinen! Wessel ist von Beruf Softwareentwickler, der nach
eigener Aussage den Kaufwert für eine Arbeit nach eigenen Tagessätzen
bemisst. Letztlich tauscht er seine Lebenszeit gegen das Kunstwerk: ein subjektives
System, das theoretisch ohne die Größe Geld auskommt. Verzicht und Genuss
bedingen sich dabei gegenseitig.
Dahinter steckt eine Geisteshaltung, die Kunst als kalkuliertes
Investitionsspielzeug oder zur eigenen Imagepflege kategorisch ablehnt. Der Sammler
läuft nicht einem „pekuniären
Differenzausgleich” durch zeitverzögerte Wiederverkäufe hinterher.
Avanciert jemand zu einem „me too-Künstler”, horcht er auf – oder
eher ab. Er will nicht in der Reihe derer stehen, die mit einer „blue chip”-Arbeit
auf Nummer Sicher gehen, „mit den Ohren“ sammeln. Wessel ist kein Sammlungssammler;
er sammelt zur eigenen Anregung, weil er nicht anders kann und lebt mitten in seinen
Kunsträumen.Bemerkenswert ist, wie der Software-Mensch Wessel methodisch vorgeht:
„Lässiger sehen, weniger Intension. Mal gucken, wie es auf mich wirkt“!
Nicht vorrangig mit den überlieferten Kriterien der Hochkultur balancierend – obwohl
er von den wunderbaren Romanen eines Robert Musil oder Marcel Proust schwärmt
(das war eine andere Zeit!) – sondern eher nach dem Prinzip handelnd „dass
man auf dem Weg zum Guten auch durch sehr viel Scheiß hindurch muss, dass eben
das, was man unterwegs so mitnimmt, auch ganz wesenstypisch ist. Dass man dadurch
vielleicht wieder eine Klarheit erreicht und den Blick schärft, und, dass das
zu erkennen, möglicherweise wieder eine Art von Kulturleistung ist.“ So
entsteht auch in der Zusammenstellung der Arbeiten seiner Sammlung ein Abriss des
Wandels von relevanten Themen und Medien.
Wessel wünscht sich mehr „Kulturverhinderer”, deren Hauptaufgabe
es wäre, „jede Menge Krempel beiseite zu schaffen”. Eine Nebenerscheinung
des bestehenden Ungleichgewichts von Künstlern und Kunstkonsumenten.
Welches nun sind die Kriterien Kunst zu sammeln?
„Es ist eine harte Entscheidung zu sammeln“. „Gute Kunst ist das,
was aus uns selber spricht. Etwas kommt zum Schwingen", „ein Gleichklang
der Resonanzen" zwischen Arbeit und Betrachter. Ist seine Sammlung eine Orchestrierung
seines Wesens? Jedenfalls sucht er nicht, er findet.
Selbstredend sammelt er nicht nach kunsthistorischen Kriterien!
Dennoch, teilt der Sammler mit dem in den 60er Jahren tonangebenden Kunsthistoriker
Martin Warnke nicht eine Denkhaltung, die seinerzeit unter dem Begriff „Politische
Ikonografie“ geprägt,
die sozialen und ideologischen Bedingungen umkreist, unter denen Kunst gemacht wird?
Seine Lieblingskünstler Via Lewandowsky oder Sven Johne legen dies nahe.
Bei aller konzeptionellen Klarheit liebt Wessel den erzählerischen Unterhaltungswert.
So ist er auch der Schönheit des grotesken Humors, ja des Absurden, Doppelbödigen
zugetan, das auch vor dem Makabren nicht Halt macht. Nicht zuletzt im Sinne
der Pataphysik eines Alfred Jarry, der nach dem Motto einer fröhlichen Wissenschaft
von den ‚Imaginativen Lösungen’ lebte. So verwundert es auch nicht,
dass Wessel den Literaten Eckhard Henscheid früh für sich entdeckte und
nicht nur dessen Bücher, sondern auch Manuskripte sammelte. Die Entwurfsgeschichte, „das
Auratische an der Sache“ hat es ihm angetan. Und wenn in Wessels Bücherregalen
50 identische Bücher aufgereiht stehen, andere speziell in Seide gebunden
sind, ist das Ausdruck seiner Wertschätzung des betreffenden Buches, das er
sehr, sehr mag. Die Präferenz des Literarischen ist unübersehbar, wie
das umlaufende Band der ein Meter hohen Regale in seinen Räumen zeigt. „Der
erste Meter gehört den Büchern“.
Angefangen hat alles, noch von der Mutter angeregt, mit Ivo
Wessels literarischem Interesse und der Konkreten Kunst, die das Elternhaus favorisierte.
Aber selbst da lässt er zu, was dem klassischen Regelwerk Konkreter Künstler zuwiderläuft.
Eine Arbeit von Anton Stankowski, „Fünfercode“, ordnet Bildfeldern
Begriffe zu. „Poetisch” nennt er diese wechselseitige Übersetzung.
Von der Kunsthalle Kiel mit 16 weiteren Sammlern eingeladen, einen Raum mit Vorhandenem
und eigenen Arbeiten zu bespielen, setzte er Konkrete Kunst und Arbeiten junger Künstler
in Beziehung. In dieser Konstellation schimmern Kriterien Konkreter Kunst durch Arbeiten,
die eigentlich nichts damit zu tun haben. Wessel lässt kunstgeschichtliche Abgrenzungen
transparent werden und spannt einen großzügigen Bogen. Wie sich früh
Biografisches mit dem später professionell Eigentümlichen in der Sammlung
generationsübergreifend niedergeschlagen hat, macht nicht zuletzt den Reiz der
Sammlung aus.
Ivo Wessel ist ein mitreißender Erzähler. Ein Legato verbindet verschiedenste
Aspekte, kleine Abstecher, Anekdoten und Theorie zu einem homogenen Ganzen. Dabei
macht der Sammler den Eindruck, als könne er aus angemessener Distanz über
sich selber sprechen – ohne seine Eitelkeiten unter den Teppich zu kehren.
Der Mensch Ivo Wessel ist die Brücke zwischen seinen Arbeiten und seinem Selbstverständnis
als Sammler.
Bei seinem ersten Besuch in Sindelfingen hat er die Räume der Galerie vermessen,
um KORRESPONDENZEN der hiesigen Architektur mit seinen Kunstwerken auszuloten. Doch
bei allem konzeptionellen Vorgehen, einen Zusammenklang der unterschiedlichen Werke
seiner Sammlung aus Kunst und Literatur antizipierend, mag das Ergebnis nicht nur
den Sammler, sondern auch die Betrachter zu überraschen. Jeder kann seine eigenen
subtilen Korrespondenzen entdecken und unterwegs immer wieder die des Sammlers aufspüren.
Den Korrespondenzen sind keine Grenzen gesetzt.
Ingrid Burgbacher-Krupka, 2007 |
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