Diagram of historical development of fluxus ... , by G. Maciunas, 1973
 

DAS PROJEKT:  FAMA FLUXUS   MYTHOS BEUYS  -  2005/2006

Konzept

Im Mittelpunkt steht der Disput zwischen Joseph Beuys und George Maciunas, der in den 60-er Jahren im Namen von Fluxus öffentlich ausgetragen wurde. Fluxus war die Erste sich in allen Medien, inclusive der neuen Technologien, manifestierende weltumspannende Kunstäußerung des 20. Jahrhunderts. Die analytische Bewältigung dieser Auseinandersetzung, ihre begriffliche Durchdringung steht bis heute aus.

Bekanntlich ist viel über Joseph Beuys geschrieben worden, das Gleiche gilt für George Maciunas als Spiritus Rector von Fluxus. Der Diskurs aber zwischen Beuys und Maciunas, dem deutschen Bildhauer, der aus einem anthropologischen Verständnis heraus an einer Erweiterung des Kunstbegriffs arbeitete und dem politisch internationalen Fluxus-Impresario, der – Marcel Duchamps Readymade-Konzept vor Augen, John Cage Weiterführung in der Musik und George Brechts Bemühen, es auf Readymade-Handlungen auszuweiten – mit einer derart interdisziplinär inspirierten Kunstvorstellung die bildungsbürgerlichen und kommerziellen Barrieren aufbrechen und die Kunst in den gesellschaftlichen Alltag hinein entgrenzen wollte, steht bisher kaum im Fokus. Aber es ist gerade dieser Disput der frühen 60-er Jahre des vorigen Jahrhunderts, der aus heutiger Sicht so wichtig ist, wie auch das Interesse junger Künstler an der so fruchtbaren Zeit zeigt.

Beuys sah sich zur Reflexion seiner Tätigkeit gedrängt, theoretisch zur ´Plastischen Theorie` und bildnerisch, wie er selbst sagt: „... ich habe nur die in Fluxus angelegten Ideen weiterentwickelt und versucht, sie materiell umzusetzen“. Und es war auch die Auseinandersetzung mit Fluxus, die Beuys den Weg in die Öffentlichkeit mitgab, den er dann später mit der Gründung seiner gesellschaftspolitischen Organisationen (das Ideengut von Rudolf Steiner methodisch aufgreifend) in der Rolle des ‚utopischen’ Pädagogen gegangen ist, – die heute u.a. Theaterleute wie Christoph Schlingensief und bildende Künstler weiterspielen. Auch Fluxus-Maciunas wurde nicht müde, an seinen sozialpolitischen Projekten und kommunikativen Diagrammen, den so genannten ‚Learning Machines’ weiterzuarbeiten. Noch kurz vor seinem Tod hat er in humorvoller Fluxusmanier die Akademie der Künste zum 26. Berliner Kunstfestival 1976 mit einem FLUXLABYRINTH überrascht.

Das Projekt ist auf drei Themenkomplexe fokussiert:

  1. FAMA FLUXUS – Plattform für Neue Performative Kunstformen. Durchdringen der frühen internationalen FLUXUS-Aktivitäten: Maciunas Diagramme und Erweiterungen.
  2. MYTHOS BEUYS – Plastisches Werk und Plastische Theorie.
  3. Zur Wirkungsgeschichte von FLUXUS und BEUYS – und heute.

Da sich diese kunstwissenschaftlichen Forschungen aufgrund des prozessualen Charakters der Kunst nicht im klassischen Sinne darstellen und archivieren lassen, stehen die Nutzungsmöglichkeiten multimedialer Anwendungen für Kunst und Kunstbetrachtung im Vordergrund: die Strukturierung von Informationen, die Konstruktion komplexer Raumstrukturen, die Visualisierung dynamischer Prozesse, sowie die Einbindung von Audio- und Videodokumenten.

Die Ausrichtung des Projekts FAMA FLUXUS MYTHOS BEUYS liegt in der Nutzung der multimedialen Form des Diskurses, der dialogischen Dimension der Neuen Medien, um die in der Praxis und kunsttheoretischen Arbeit voneinander getrennten Blickwinkel dynamisch zusammenzubringen. Verschiedene Bedeutungsebenen werden zu einer integralen Betrachtung vernetzt, um die komplexen Zusammenhänge zu veranschaulichen. Der starke Bezug zum Betrachter mag die Lern- und Erlebnisbereitschaft steigern, eine Devise von FLUXUS aufgreifend: Lehren und Lernen als Aufführungskünste.

Ziele des Projekts

Das Material ist so vernetzt und vielschichtig, dass sich eine Visualisierung und Umsetzung mit Neuen Medien anbietet – die das Kommunikationstalent Fluxus-Maciunas in seinen Diagrammen bereits antizipierte, aber technisch noch nicht zur Verfügung hatte. Diese Medien sind aus der Sicht kunstwissenschaftlicher Forschung heute unabdingbar und finden mit ‚ open source’ zunehmend weite Verbreitung.

Eine Informationsarchitektur und ihre Umsetzung:

  • die ‚spielerisch visuell’ den Kunstdiskurs ‚anschaulich’ erfahrbar macht,
  • die offen und erweiterbar ist (im Sinne von ‚open source’, Wikipedia),
  • die komplexe inhaltliche Vernetzung der drei Themenkomplexe erlaubt,
  • die für DVD-ROM und wenn möglich das Internet geeignet ist,
  • die Suchen, Drucken, Indizieren unterstützt.

Inhaltliche Struktur des Projekts und der begleitenden DVD-ROM.

1. FAMA FLUXUS – die Rede ist von einer künstlerischen Plattform für Neue Performative Kunstformen.

Spiritus Rector ist der Exillitauer George Maciunas, der in Europa aufgewachsen, nach dem 2. Weltkrieg in die USA emigrierte und Anfang der 60-er Jahre für kurze Zeit zurück in Europa die legendären FLUXUS FESTIVALS gestaltete. Eingeladen waren neuartig interdisziplinär arbeitende Künstler weltweit, was FLUXUS zur ersten internationalen Kunstströmung nach dem 2. Weltkrieg machte. Der frische Wind, der von FLUXUS als Gemeinschaftsplattform mit politischer Dimension ausging, erfasste auch den deutschen Bildhauer Joseph Beuys.

Der Künstler und Namensgeber von FLUXUS, George Maciunas, entwickelte ein weitspannendes FLUXUS-Netzwerk mit den seinerzeit einzig zur Verfügung stehenden postalischen und telefonischen Mitteln, eine bis heute einzigartige Genealogie der Kunst. Maciunas war stark auf die neue Kunst in den USA und Ostasien fixiert, sodass die europäischen Strömungen nachzutragen sind. Seine Genealogie in Form eines zeit-räumlichen Beziehungsgeflechts bricht mit der statischen Archivvorstellung und stellt aufgrund ihrer flexibel komplexen mehrdimensionalen Struktur eine besondere Herausforderung an die Gestaltung mit Neuen Medien. Maciunas hat seine Vorstellung konzeptionell in Form akribisch gezeichneter Diagramme dargelegt, konnte aber aufgrund der noch fehlenden, heute aber verfügbaren neuen Technologien seine Visionen nur wenig unübersichtlich darstellen.


2. MYTHOS BEUYS – Plastisches Werk und Plastische Theorie

Der deutsche Bildhauer Joseph Beuys manifestiert einen abendländischen Kunstbegriff, der die Fähigkeit des Menschen kreativ zu sein, etwas zu gestalten und aufzubauen, zentral setzt. Kunst ist anthropologische Konstante.

Seine Arbeit besteht aus Aktionenund bildnerischen Werken ineinander greifend. Dieses konzeptionelle Verständnis geht offenbar auf seine Auseinandersetzung mit FLUXUS zurück, wobei Beuys sein Verständnis zunächst performativ und material (mit seinen legendär gewordenen Materialien Fett, Filz etc.) gestaltete und sodann diesen Prozess analytisch reflexiv in Form von Diagrammen (Gesprächskizzen) fasste. Dies ist die besondere Leistung des Bildhauers Joseph Beuys, den konzeptionellen Ansatz in FLUXUS erkannt und umgesetzt zu haben. 1

Beuys PLASTISCHE THEORIE ist also mehr als ein Reden über sein Plastisches Werk, sondern begrifflich/struktureller Ausdruck seines anthropologischen Grundverständnisses von Kunst. Die frühe PLASTISCHE THEORIE wird so zur Basis für die Ausformung des ERWEITERTEN KUNSTBEGRIFFS, der SOZIALEN SKULPTUR, also der späteren kultur- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen. 2

 

3. Zur Wirkungsgeschichte von FLUXUS und BEUYS und Heute – Arbeiten junger Künstler/Studenten

Der Geist von Fluxus und Beuys ist heute virulent, ambivalent und vereinnahmend. Das zeigen auch die einführenden Ausstellungen von Kunst+Projekte e. V. in der Galerie der Stadt Sindelfingen, wo sich Fluxus-Veteranen und junge Künstler/Studenten begegnen. 3

Fluxus macht den Künstler zum Anreger/Impulsgeber und die Anwesenden zu Teilnehmern / involviertem Publikum. 4 Fluxus zeigt die Brüche, die Risse und selbst die Fehler statt einer künstlerischen Konsolidierung. Fluxus-Maciunas propagierte eine Art Demokratisierung des Künstlers mit der Vision, die Rolle des autonomen Künstlers infrage zu stellen, weil es nicht darum gehen könnte, Meisterwerke zu verfassen, sondern etwas verstehen zu wollen. Beuys hingegen pflegte die Meisterschaft und betont, dass ein genialischer Künstler mehr bewirken kann als ein Kollektiv (wobei die Vorstellung von Kollektiv infrage steht). Das Mit- und Gegeneinander dieser Positionen belebt weiterhin den Diskurs.

Fluxus-Maciunas Lebenselixier war der Humor, den sein Weggefährte, der Filmemacher Jonas Mekas (im litauischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2005) als etwas ganz Besonderes herausstellt. Wenn Fluxus auftrat war Witz im Spiel. Das Stück um Gag/Genuss und kritischen Diskurs wird gerade neu aufgelegt: Erst wenn wir begreifen, wie wir arbeiten, kommen wir an die Strategien ran, um Zusammenhänge zu unterlaufen.


1- Beuys näherte sich der physischen und psychischen Energie des Kreatürlichen über die Zeichnung an, die er zu eigenster Ausdruckskraft vorantrieb. Jeder Strich ist energetische Kraftlinie. Die energiegetriebenen Formen sind ihrem Wesen nach ‚plastisch’, die eingesetzten Materialien unterstreichen diesen energetischen Prozess.

Anfang der 60er Jahre erweitert Beuys im Zuge der Fluxus-Bewegung sein Ausdrucksrepertoire. Die auf Handlungen basierenden prägnanten Fluxus-Ereignisse forcieren bei ihm eigene Überlegungen zur Aufführungskunst und Multiplex-Vorstellungen. Selbst entwickelte Aktionen, in denen er den eigenen Körper plastisch einsetzt und mit Requisiten hantiert, zeigen ihm den Weg auf über das einzelobjekthafte Gestalten hinaus zu räumlichen Inszenierungen. Der aus sieben angrenzenden Räumen bestehende Block Beuysin Darmstadt, den Beuys noch selbst installiert hat, ist die Essenz seines bildnerischen Werkes der 60er Jahre.

Diese Bildnerische Gestaltung ist verbunden mit der Suche nach Methodik, wobei Beuys das eigene Tun aus seinem anthropologischen Grundverständnis heraus an der Vorstellung von Fluxus misst, am Ideengut von Rudolf Steiner reflektiert und über den Einsatz bestimmter Materialien (Fett, Filz, etc.) metaphorisch fasst. Seinen begrifflichen Niederschlag findet dieser Prozess in dem energetischen Diagramm der „Plastischen Theorie“.

Im Laufe der Politisierung der 60er Jahre weitet Beuys seine Aktionstätigkeit auf eine Art politischer Tätigkeit in der Öffentlichkeit aus, bei der er den aktionistischen Rahmen unter Einbezug anderer Menschen auf Organisationen (nicht Happening!) ausweitet. Im gemeinschaftlichen Handeln und der Wahl quasi politischer Begriffe prägt er die „Erweiterung des Kunstbegriffs“ auf allgemein gesellschaftliche Fragen der aktuell gesellschaftlichen Lage, wie Bildung, Parteinsystem, Umwelt und Ökonomie mit dem Begriff: Soziale Skulptur.

Doch bei aller theoretischen Reflektion darf die Bildnerische Gestaltung nicht zurückstehen. Beuys selbst spricht hier von Parallelprozess: „Die Begriffe werden nach einem halben Jahr absolute Leichen sein, wenn sie nicht ernährt werden durch die Imagination.“ (V, S. 11)

2- Dazu Beuys selbst: „Fluxus bot die Chance, mit persönlichen Ideen vor eine breitere Öffentlichkeit zu treten: Als wichtigste Eigenschaft könnte man den sehr ausgeprägten interdisziplinären Charakter der Aktionen bezeichnen, zumal diese weniger stark auf die bildenden Künste ausgerichtet waren, sondern vielmehr auf akustische, choreographische und musikalische Ausdrucksformen. Die meisten Teilnehmer waren ja Musiker. Es gab nicht dieses ausgeprägte Spezialistentum.

Als weiteres Element war die Leichtigkeit und Beweglichkeit der Mittel entscheidend. Faszinierend war die Offenheit, um vom simpelsten Material zum gesamten Weltinhalt zu kommen.“ (AKT, S. 93ff). Beuys:

„ (...) ich habe nur die in Fluxus angelegten Ideen weiterentwickelt und versucht, sie materiell umzusetzen“. (AKT, S. 114; V. S. 161).

3- In der zeitgenössischen Kunst sind beispielsweise das Projekt UTOPIA STATION zu nennen, das auf der Biennale in Venedig 2003 seinen Anfang nahm und von Kunst+Projekte e. V. in Sindelfingen fortgesetzt wurde , ebenso die Wahl des Konzeptkünstlers Tino Seghal für den deutschen Pavillon 2005.

4- Tino Seghal – im deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig 2005 – schränkt den Begriff Performance heute ein und spricht von aktionistischer „immaterieller Produktion“, um herauszustellen, dass es in der historischen Performancekunst darum ging, dem Markt und dem Museum zu entkommen, was für ihn heute nicht relevant ist.

Ibk

Fluxus on the fly
Block Beuys, Darmstadt3D-Animation: Michael Filser

>Die Ausstellung <

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