DAS
PROJEKT: FAMA FLUXUS MYTHOS BEUYS - 2005/2006
Konzept
Im Mittelpunkt steht der Disput zwischen Joseph Beuys und George
Maciunas, der in den 60-er Jahren im Namen von Fluxus öffentlich ausgetragen
wurde. Fluxus war die Erste sich in allen Medien, inclusive der neuen Technologien,
manifestierende weltumspannende Kunstäußerung des 20. Jahrhunderts. Die
analytische Bewältigung dieser Auseinandersetzung, ihre begriffliche Durchdringung
steht bis heute aus.
Bekanntlich ist viel über Joseph Beuys geschrieben worden, das
Gleiche gilt für George Maciunas als Spiritus Rector von Fluxus. Der Diskurs
aber zwischen Beuys und Maciunas, dem deutschen Bildhauer, der aus einem anthropologischen
Verständnis heraus an einer Erweiterung des Kunstbegriffs arbeitete und dem
politisch internationalen Fluxus-Impresario, der – Marcel Duchamps Readymade-Konzept
vor Augen, John Cage Weiterführung in der Musik und George Brechts Bemühen,
es auf Readymade-Handlungen auszuweiten – mit einer derart interdisziplinär
inspirierten Kunstvorstellung die bildungsbürgerlichen und kommerziellen Barrieren
aufbrechen und die Kunst in den gesellschaftlichen Alltag hinein entgrenzen wollte,
steht bisher kaum im Fokus. Aber es ist gerade dieser Disput der frühen 60-er
Jahre des vorigen Jahrhunderts, der aus heutiger Sicht so wichtig ist, wie auch das
Interesse junger Künstler an der so fruchtbaren Zeit zeigt.
Beuys sah sich zur Reflexion seiner Tätigkeit gedrängt,
theoretisch zur ´Plastischen Theorie` und bildnerisch, wie er selbst sagt: „...
ich habe nur die in Fluxus angelegten Ideen weiterentwickelt und versucht, sie materiell
umzusetzen“. Und es war auch die Auseinandersetzung mit Fluxus, die Beuys den
Weg in die Öffentlichkeit mitgab, den er dann später mit der Gründung
seiner gesellschaftspolitischen Organisationen (das Ideengut von Rudolf Steiner methodisch
aufgreifend) in der Rolle des ‚utopischen’ Pädagogen gegangen ist, – die
heute u.a. Theaterleute wie Christoph Schlingensief und bildende Künstler weiterspielen.
Auch Fluxus-Maciunas wurde nicht müde, an seinen sozialpolitischen Projekten
und kommunikativen Diagrammen, den so genannten ‚Learning Machines’ weiterzuarbeiten.
Noch kurz vor seinem Tod hat er in humorvoller Fluxusmanier die Akademie der Künste
zum 26. Berliner Kunstfestival 1976 mit einem FLUXLABYRINTH überrascht.
Das Projekt ist auf drei Themenkomplexe fokussiert:
- FAMA FLUXUS – Plattform für Neue Performative Kunstformen.
Durchdringen der frühen internationalen FLUXUS-Aktivitäten: Maciunas
Diagramme und Erweiterungen.
- MYTHOS BEUYS – Plastisches Werk und Plastische Theorie.
- Zur Wirkungsgeschichte von FLUXUS und BEUYS – und
heute.
Da sich diese kunstwissenschaftlichen Forschungen aufgrund des prozessualen
Charakters der Kunst nicht im klassischen Sinne darstellen und archivieren lassen,
stehen die Nutzungsmöglichkeiten multimedialer Anwendungen für Kunst und
Kunstbetrachtung im Vordergrund: die Strukturierung von Informationen, die Konstruktion
komplexer Raumstrukturen, die Visualisierung dynamischer Prozesse, sowie die Einbindung
von Audio- und Videodokumenten.
Die Ausrichtung des Projekts FAMA FLUXUS MYTHOS BEUYS liegt in der
Nutzung der multimedialen Form des Diskurses, der dialogischen Dimension der Neuen
Medien, um die in der Praxis und kunsttheoretischen Arbeit voneinander getrennten
Blickwinkel dynamisch zusammenzubringen. Verschiedene Bedeutungsebenen werden zu
einer integralen Betrachtung vernetzt, um die komplexen Zusammenhänge
zu veranschaulichen. Der starke Bezug zum Betrachter mag die Lern- und Erlebnisbereitschaft
steigern, eine Devise von FLUXUS aufgreifend: Lehren und Lernen als Aufführungskünste.
Ziele des Projekts
Das Material ist so vernetzt und vielschichtig, dass sich eine Visualisierung
und Umsetzung mit Neuen Medien anbietet – die das Kommunikationstalent Fluxus-Maciunas
in seinen Diagrammen bereits antizipierte, aber technisch noch nicht zur Verfügung
hatte. Diese Medien sind aus der Sicht kunstwissenschaftlicher Forschung heute unabdingbar
und finden mit ‚ open source’ zunehmend weite Verbreitung.
Eine Informationsarchitektur und ihre Umsetzung:
- die ‚spielerisch visuell’ den Kunstdiskurs ‚anschaulich’ erfahrbar
macht,
- die offen und erweiterbar ist (im Sinne von ‚open source’,
Wikipedia),
- die komplexe inhaltliche Vernetzung der drei Themenkomplexe erlaubt,
- die für DVD-ROM und wenn möglich das Internet geeignet
ist,
- die Suchen, Drucken, Indizieren unterstützt.
Inhaltliche Struktur des Projekts und der begleitenden DVD-ROM.
1.
FAMA FLUXUS – die Rede ist von einer
künstlerischen Plattform für Neue Performative Kunstformen.
Spiritus Rector ist der Exillitauer George Maciunas, der in Europa
aufgewachsen, nach dem 2. Weltkrieg in die USA emigrierte und Anfang der 60-er Jahre
für kurze Zeit zurück in Europa die legendären FLUXUS FESTIVALS gestaltete.
Eingeladen waren neuartig interdisziplinär arbeitende Künstler weltweit,
was FLUXUS zur ersten internationalen Kunstströmung nach dem 2. Weltkrieg machte.
Der frische Wind, der von FLUXUS als Gemeinschaftsplattform mit politischer Dimension
ausging, erfasste auch den deutschen Bildhauer Joseph Beuys.
Der Künstler und Namensgeber von FLUXUS, George Maciunas, entwickelte
ein weitspannendes FLUXUS-Netzwerk mit den seinerzeit einzig zur Verfügung stehenden
postalischen und telefonischen Mitteln, eine bis heute einzigartige Genealogie der
Kunst. Maciunas war stark auf die neue Kunst in den USA und Ostasien fixiert,
sodass die europäischen Strömungen nachzutragen sind. Seine Genealogie
in Form eines zeit-räumlichen Beziehungsgeflechts bricht mit der statischen
Archivvorstellung und stellt aufgrund ihrer flexibel komplexen mehrdimensionalen
Struktur eine besondere Herausforderung an die Gestaltung mit Neuen Medien. Maciunas
hat seine Vorstellung konzeptionell in Form akribisch gezeichneter Diagramme dargelegt,
konnte aber aufgrund der noch fehlenden, heute aber verfügbaren neuen Technologien
seine Visionen nur wenig unübersichtlich darstellen.
2.
MYTHOS BEUYS – Plastisches
Werk und Plastische Theorie
Der deutsche Bildhauer Joseph Beuys manifestiert einen abendländischen
Kunstbegriff, der die Fähigkeit des Menschen kreativ zu sein, etwas zu gestalten
und aufzubauen, zentral setzt. Kunst ist anthropologische Konstante.
Seine Arbeit besteht aus Aktionenund bildnerischen Werken ineinander
greifend. Dieses konzeptionelle Verständnis geht offenbar auf seine Auseinandersetzung
mit FLUXUS zurück, wobei Beuys sein Verständnis zunächst performativ
und material (mit seinen legendär gewordenen Materialien Fett, Filz etc.) gestaltete
und sodann diesen Prozess analytisch reflexiv in Form von Diagrammen (Gesprächskizzen)
fasste. Dies ist die besondere Leistung des Bildhauers Joseph Beuys, den konzeptionellen
Ansatz in FLUXUS erkannt und umgesetzt zu haben. 1
Beuys PLASTISCHE THEORIE ist also mehr als ein Reden über sein
Plastisches Werk, sondern begrifflich/struktureller Ausdruck seines anthropologischen
Grundverständnisses von Kunst. Die frühe PLASTISCHE THEORIE wird so zur
Basis für die Ausformung des ERWEITERTEN KUNSTBEGRIFFS, der SOZIALEN SKULPTUR,
also der späteren kultur- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen. 2
3. Zur Wirkungsgeschichte
von FLUXUS und BEUYS und Heute – Arbeiten
junger Künstler/Studenten
Der Geist von Fluxus und Beuys ist heute virulent, ambivalent und
vereinnahmend. Das zeigen auch die einführenden Ausstellungen von Kunst+Projekte
e. V. in der Galerie der Stadt Sindelfingen, wo sich Fluxus-Veteranen und junge
Künstler/Studenten begegnen. 3
Fluxus macht den Künstler zum Anreger/Impulsgeber und die Anwesenden
zu Teilnehmern / involviertem Publikum. 4 Fluxus zeigt die Brüche, die Risse
und selbst die Fehler statt einer künstlerischen Konsolidierung. Fluxus-Maciunas
propagierte eine Art Demokratisierung des Künstlers mit der Vision, die Rolle
des autonomen Künstlers infrage zu stellen, weil es nicht darum gehen könnte,
Meisterwerke zu verfassen, sondern etwas verstehen zu wollen. Beuys hingegen pflegte
die Meisterschaft und betont, dass ein genialischer Künstler mehr bewirken kann
als ein Kollektiv (wobei die Vorstellung von Kollektiv infrage steht). Das Mit- und
Gegeneinander dieser Positionen belebt weiterhin den Diskurs.
Fluxus-Maciunas Lebenselixier war der Humor, den sein Weggefährte,
der Filmemacher Jonas Mekas (im litauischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2005)
als etwas ganz Besonderes herausstellt. Wenn Fluxus auftrat war Witz im Spiel. Das
Stück um Gag/Genuss und kritischen Diskurs wird gerade neu aufgelegt: Erst wenn
wir begreifen, wie wir arbeiten, kommen wir an die Strategien ran, um Zusammenhänge
zu unterlaufen.
1- Beuys
näherte
sich der physischen und psychischen Energie des Kreatürlichen über die
Zeichnung an, die er zu eigenster Ausdruckskraft vorantrieb. Jeder Strich ist energetische
Kraftlinie. Die energiegetriebenen Formen sind ihrem Wesen nach ‚plastisch’,
die eingesetzten Materialien unterstreichen diesen energetischen Prozess.
Anfang der
60er Jahre erweitert Beuys im Zuge der Fluxus-Bewegung sein Ausdrucksrepertoire.
Die auf Handlungen basierenden prägnanten
Fluxus-Ereignisse forcieren bei ihm eigene Überlegungen zur Aufführungskunst
und Multiplex-Vorstellungen. Selbst entwickelte Aktionen, in denen er den eigenen
Körper plastisch einsetzt
und mit Requisiten hantiert, zeigen ihm den Weg auf über das einzelobjekthafte
Gestalten hinaus zu räumlichen Inszenierungen. Der aus sieben angrenzenden Räumen
bestehende Block Beuysin Darmstadt, den Beuys noch selbst installiert
hat, ist die Essenz seines bildnerischen Werkes der 60er Jahre.
Diese Bildnerische Gestaltung ist verbunden mit der Suche
nach Methodik, wobei Beuys das eigene Tun aus seinem anthropologischen Grundverständnis heraus
an der Vorstellung von Fluxus misst, am Ideengut von Rudolf Steiner reflektiert und über
den Einsatz bestimmter Materialien (Fett, Filz, etc.) metaphorisch fasst. Seinen
begrifflichen Niederschlag findet dieser Prozess in dem energetischen Diagramm der „Plastischen
Theorie“.
Im Laufe der Politisierung der 60er Jahre weitet Beuys
seine Aktionstätigkeit
auf eine Art politischer Tätigkeit in der Öffentlichkeit aus, bei der er
den aktionistischen Rahmen unter Einbezug anderer Menschen auf Organisationen (nicht
Happening!) ausweitet. Im gemeinschaftlichen Handeln und der Wahl quasi politischer
Begriffe prägt er die „Erweiterung des Kunstbegriffs“ auf allgemein
gesellschaftliche Fragen der aktuell gesellschaftlichen Lage, wie Bildung, Parteinsystem,
Umwelt und Ökonomie mit dem Begriff: Soziale Skulptur.
Doch bei aller theoretischen Reflektion darf die Bildnerische
Gestaltung nicht zurückstehen. Beuys selbst spricht hier von Parallelprozess: „Die
Begriffe werden nach einem halben Jahr absolute Leichen sein, wenn sie nicht ernährt
werden durch die Imagination.“ (V, S. 11)
2- Dazu Beuys selbst: „Fluxus
bot die Chance, mit persönlichen Ideen vor eine breitere Öffentlichkeit
zu treten: Als wichtigste Eigenschaft könnte man den sehr ausgeprägten
interdisziplinären Charakter der Aktionen bezeichnen, zumal diese weniger stark
auf die bildenden Künste ausgerichtet waren, sondern vielmehr auf akustische,
choreographische und musikalische Ausdrucksformen. Die meisten Teilnehmer waren ja
Musiker. Es gab nicht dieses ausgeprägte Spezialistentum.
Als weiteres Element war die Leichtigkeit und Beweglichkeit
der Mittel entscheidend. Faszinierend war die Offenheit, um vom simpelsten Material
zum gesamten Weltinhalt zu kommen.“ (AKT, S. 93ff). Beuys:
„ (...) ich habe nur die in Fluxus angelegten Ideen weiterentwickelt
und versucht, sie materiell umzusetzen“. (AKT, S. 114; V. S. 161).
3- In der zeitgenössischen
Kunst sind beispielsweise das Projekt UTOPIA STATION zu nennen, das auf der Biennale
in Venedig 2003 seinen Anfang nahm und von Kunst+Projekte e. V. in Sindelfingen
fortgesetzt wurde , ebenso die Wahl des Konzeptkünstlers Tino Seghal für
den deutschen Pavillon 2005.
4- Tino Seghal – im deutschen Pavillon auf
der Biennale Venedig 2005 – schränkt den Begriff Performance heute ein
und spricht von aktionistischer „immaterieller
Produktion“, um herauszustellen, dass es in der historischen Performancekunst
darum ging, dem Markt und dem Museum zu entkommen, was für ihn heute nicht relevant
ist.
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